Wednesday, December 01, 2021

Staat im Relativismus - Eine Antwort an J

Lieber J,

ich will Dir eine Antwort schreiben bezüglich Deiner lieben Bemühungen um mein Gewissen. Es geht aber voll an dem vorbei, was ich denke, und darum ich so denke. Ich will Dir einmal kurz Einblick gewähren in das, was ich denke und warum. Es hat zu tun mit philosophischer Verwirrung und den Folgen.

Relativismus und Nihilismus vs Grundgesetz

Alles fängt ganz unverdächtig an. Man beginnt, einstmals als fest stehende Werte und Rechte anzuzweifeln. Am besten als "schuldig an Misstand x oder y", an irgendeiner "Unterdrückung der Freiheit". Oder man verneint gleich die ganze Grundlage der Werte und Rechte, in diesem Fall: Gott. Dann wird alles relativ. Jeder kann für sich entscheiden. Das hört sich zunächst prima an. Ist aber natürlich eine Illusion, denn nicht jeder kann für sich entscheiden. Der Mächtige, Laute, Rücksichtslose bzw Entschlossene gewinnt - und entscheidet dann für die anderen (was vielen nun auch nicht so problematisch vorkommt). Aus Recht, das sich auf eine transzendente (allen innewohnende) Wahrheit beruft, wird Recht, dass sich auf eine immanente „Wahrheit“ (den Begriff benutzt man nicht mehr) - sagen wir eben Gewalt / Wille / Überzeugung eines Einzelnen oder einer Gruppe / Mehrheit - beruft. Das Problem: Die ganze Sache hat ohne Gott keinen Sinn, außer eben der Macht. Es wird ein nie endender Zirkelschluss, den man nur durch einen Finalen Sieg beenden kann. DANN wird alles besser, und das zermürbende Ringen um die Macht hört auf. Doch es ist ein Trugschluss. Macht korrumpiert eben alles. Insbesondere die Mächtigen (und auch die Machtlosen). Deswegen wird sie am besten geteilt und weitergegeben. Aber das geht eben im nihilistischen Kampf zwischen Relativsten nicht.

Um diesen vicious circle zu verhindern, und dem Missbrauch der Macht gegen Minderheiten, die im Kampf unterlegenen oder Einzelne vorzubeugen, haben die Väter des Grundgesetzes, aus schmerzlicher Erfahren, die Gewaltenteilung, den Föderalismus und die Grundrechte (Menschenwürde und die sich daraus ergebenden Unverletzlichkeiten der Person) gesetzt, die der Unveränderlichkeitsklausel unterlagen. Sie waren die Grundlage für das friedliche Mit- und Nebeneinander, das wir alle so genossen haben. Es hielt, solange nicht eine Seite den Notstand reklamierte - und mit dem Abbruch der Ordnung - also der geordneten Beziehungen und Prozesse - anfing. Wenn eine Seite dann in ihren Gewissen (also im Innersten der Menschenwürde) verletzt und verfolgt wird ("Du darfst nicht so sein, handeln, denken, wie es Dein Gewissen verlangt“ - „Wie kannst Du Dir überhaupt ein Gewissen anmaßen!"), dann endet der Frieden - auf jeden Fall für die Minderheit… An einem solchen Punkt scheinen wir endgültig zu stehen. 

Wenn ich von Gewissensfragen spreche, dann sind das natürlich nicht irgendwelche Fragen, sondern solche, die ganz grundsätzlich in die Frage von Leben und Tod oder die Würde, d.h. die innerste und körperliche Unverwundbarkeit eingreifen. Solche sind insb. die aktive und passive Beteiligung an Akten des Tötens, Verletzens oder Experimentierens: Todesstrafe, Kriegsdienst, Abtreibung, Euthanasie - aber auch medizinische Experimente. Diese Fragen sind auch in der EU-Menschenrechtscharta beschrieben und geregelt: Man muss nicht teilnehmen. Es gibt zB Ersatzdienste und einfach Ausnahmen. Der Europarat für Menschenrechte hat diese Garantien dieses Jahr noch einmal ausdrücklich bestätigt. Grund hierfür sind die Erfahrungen mit den europäischen Kriegen, totalitären Diktaturen, die insb. auch in und aus Deutschland heraus geherrscht haben - insb. der Konzentrationslager.

Wir haben als gläubige Katholiken und Protestanten schon lange hier Unrecht ertragen. Vermutlich hätte unser Widerstand entschiedener sein müssen. Aber wir fühlten uns sicher, insb, da wir die „besten Battallione“ (und auch Nutznießer) eines liberalen Rechtsstaates und einer sozialen Marktwirtschaft waren. Wir haben mitgemacht beim Finanzieren der Abtreibung, gegen die wir virulent sein müssen, wenn wir andere Leben schützen wollen. Wir haben geschluckt, als die Gynäkologie-Ausbildung die Durchführung einer Abtreibung zur Voraussetzung für ein Examen machte. Nun, unter der neuen "Fortschritts-Regierung“, soll Abtreibung zum Pflichtprogramm JEDER medizinischen Ausbildung gehören. Auf Gewissen wird keine Rücksicht mehr genommen. Man fühlt sich sicher bei mehr als 50% Zustimmung (und 40% Indifferenz). De facto bedeutet das ein Berufsverbot für Christen. Kann man es diesen verübeln, wenn sie sich nun vom Staat abwenden - und in die innere / äußere Emigration oder gar den Widerstand gehen? Das kann doch niemanden überraschen, wenn der „Tipping Point“ erreicht wird. Corona passt in dieses Narrativ - und Skepsis oder mehr sind daher angebracht. Skepsis bezüglich Methoden, Gründen und Motiven der Mächtigen. Die Impfpflicht, die die og Rechte und Bestimmungen verletzen würde, brächte nur das Fass zum Überlaufen.

Der Staat ("Macht + Gemeinwohl“) heute

Wir hatten ein Grundgesetz, in dem der Staat nicht für den Wohlstand oder die Lebenserwartungen der einzelnen zuständig war. Grund: Das hatte vorher in DDR und Drittem Reich "nicht geklappt“, um es gelinde zu sagen. Stattdessen sollten Familien, Freunde und freie Zusammenschlüsse (zB Unternehmen) dies besorgen. Aus Erfahrung wissen wir, dass sie es besser als jede andere Struktur können. Wir hatten einen Staat, der den Rahmen für die individuelle Lebensplanung, das Wirtschaften und ein grundsätzlich sicheres Leben schaffen sollte: Verlässlicher Rechtsrahmen, der auch den Staat bindet, glaubwürdige, stabile Währung, Verteidigung, Infrastruktur, Polizei, die Verbrechen verhindert und verfolgt. Letztere ergaben sich aus den 10 Geboten. Auf all das konnte man sich verlassen. Es sind Res Publica Dinge, an denen ALLE wirklich ein Interesse haben. Es hat gut geklappt, bis die Sozialisten die liberalen Institutionen (insb. Bildung und Medien) unterwandert haben, und diesen Konsens durch eine kollektivitisch-humanistische Weltanschauung ersetzt haben. Unter dem Banner der Nichtdiskriminierung kann nun Diskriminierung (also Kampf, der Kampf um den Endsiegist) erneut ungeniert stattfinden. Was geht, sagt der Staat (bzw die Medien). Und letztlich irgendwann der Blockwart, Nachbar, Freund, das eigene Kind. Bei Nicht-Beachtung: Wut, Denunziation, Strafe. 

Wenn Menschen gehen, dann gehen sie eben genau, weil ihre Freunde nicht mehr ertragen, dass sie das sagen, und dass sie andere Gewissensentscheidungen treffen - weil diese Gewissensentscheidungen „alle gefährden“, „so unverantwortlich“ (gegenüber „allen“, d.h. „gegen unbekannt“, d.h. quasi immer riegdnwie gefährlich) sind. So kommt es, dass ich zwar selbst mit Menschen ausharre, die Kinder getötet haben - auch wenn ich sie nicht damit in Ruhe lassen vielleicht… Aber ich würde ihnen nichts androhen und erst recht nicht den Tod von tausenden Menschen anhängen. Umgekehrt ist das nicht sicher. „Alles muss getan werden, um…“ Das ist der totale Ansatz, den ich ablehne. 

Nun befinden wir uns, durch ständige politisch herbeigeführte oder herbeigeredete Krisen, in einer unaufhaltsamen Entwicklung zu immer totalerer Staatsaktivität (Regulierung, Intervention, Verfolgung), die wieder zu immer mehr Staat, Schäden und damit immer mehr Abhängigkeit vom Staat führt. Letzteres führt umgekehrt zu immer mehr „Zustimmung“ zum Staat. Menschen gewöhnen sich an Abhängigkeit, werden gehorsamer, leichter zu verunsichern und damit manipulierbar. Angst ist der Treibstoff dieser Macht. Nicht Vertrauen… Was heute undenkbar ist, wird morgen gemacht. So wie das, was jetzt gemacht wird, 2019 undenkbar war. Dabei hat sich die Welt / Natur nicht so dramatisch geändert - auf jeden Fall nicht da, wo jetzt gezündelt wird. Folge: Wir haben andere Werte: Gemeinwohl, Sicherheit, Gesundheit - für die ein sozialistischer Staat aber kein liberaler Staat verantwortlich sein kann, über Recht und Gerechtigkeit gestellt. Sowohl das Privat- als auch das Strafrecht, das Verfassungsrecht (sowohl im Prozeduralen als auch im Substantiellen) wurde exekutiv geändert bzw. suspendiert. Diese Art der Notstands-Herrschaft war ein wesentlicher Grund für den Zusammenbruch der Weimarer Republik. Kein Wunder, dass sie abgelöst wurde, von einem Volk, dass sich an Exekutive gewöhnt hatte - und nun aber bitte auch die Früchte der Diktatur: Sicherheit, Ruhe, Fürsorge - genießen wollte. Werte von 90% oder auch 75% Zustimmung - insb, wenn sie in Umfragen „produziert“ werden - lösen bei mir daher leider kein wohliges Einheitsgefühl aus, sondern Skepsis. Erstens steckt sowieso fast immer Betrug oder eine Form von Zwang dahinter. Zweitens werden Irrtümer und Schäden so vergrößert. Drittens wird die Zukunft für die, die nicht zustimmen, gefährlich. Alles dies haben wir bereits mehrfach gesehen. Sowohl 1914ff als auch 1933ff - und auch vor 1989 in der DDR bzw UdSSR. Selbst solche Zahlen für die Kirche würde ich sehr kritisch sehen.

Weniger Freiheit bedeutet am Ende kein mehr an Sicherheit oder Wohlstand, sondern das krasse Gegenteil. Auf diesem Weg der „Großen Koalition“ geht die "Koalition des Fortschritts" munter weiter. Und alles wird immer enger werden: Insbesondere die unglaublichen Misserfolge, die wir bereits sehen und die unweigerlich noch größer werden werden, müssen immer mehr den „Saboteuren“ - Kapitalisten, Juden, Nicht-Deutsche, Bolschewiken, Ungeimpften, Querdenkern etc pp in die Schuhe geschoben werden. Misserfolg ist kein Grund mehr für Umdenken, sondern für Lock-In und mehr vom Gleichen. Kopf runter und durch. Der Wille zählt. Nicht die Wirklichkeit. Wir kennen das alles und alle aus Guido Knopp oder wem auch sonst. Da sind wir. Und ich habe nicht laut und entschieden genug gekämpft. Vere. 
Und doch will ich das nicht mitmachen. Ich warne Euch davor. Nehmt das ernst. Tut nicht so, als gehörte ich in die Klapse oder wäre im Abwärtsstrudel. So ist die Sowjetunion gegen Dissidenten vorgegangen. Am Ende auch mit Spritzen und Pharmazie - nach den Jahrzehnten des Erschiessens.

Lieber J, es geht mir um Gerechtigkeit, die ohne die Freiheit der Gewissen in Fragen von Leben, Tod und Unverletzlichkeit / Würde des Person nicht zu haben ist. Es geht mir nicht um lächerliche Freiheit, irgendetwas zu tun, was mein Egoismus will. Ich brauche die Freiheit, nichts zu tun, was mir mein Gewissen verbietet. Ich wäre der erste - und sicher vor Dir - wenn es darum ginge, für die Gerechtigkeit und die ihre zugrundeliegende Freiheit mein Leben zu geben. Ich habe null Angst. Nicht vor Corona, und kaum vor dem Corona-Staat (nochmals: Nie Angst vor Gottes Natur, aber Skepsis gegenüber dem Menschen, insb. Im Kollektiv / der Masse). Um mich geht es nicht. Es geht um viele, deren Gewissen man offensichtlich als disponibel betrachtet, wenn es die Volksgemeinschaft (verkörpert in „Der Partei“ oder „Der Umfrage“) so will. Das ist Unrecht, gegen das ich mich wehre. Ich möchte Euch aber bei der Umsetzung der großen Visionen - Sieg gegen Corona oder gegen den Klimawandel - auch nicht im Wege stehen. Ich will nicht ständige rechthaberisch intervenieren und mit Euch streiten. Ich liebe Dich und die anderen Freunde. Irgendwann wird man die Siebenergesellschaft verbieten, weil keine Frauen dabei sind. Das wäre schade, aber dann auch nicht zu ändern. Ich möchte mich aber an sie erinnern, als etwas lebendiges - nicht vergangenes. Und wenn ich also gehe, dann gehe ich insb. also auch wegen DIR. Aus diesen Gründen. Ihr habt mein Leben verändert - nicht so wie ich es wollte. Aber ich verstehe, dass Ihr nicht versteht. Ich habe nur mit euch geredet. Ich habe nichts verändern wollen, was Ihr nicht selber wollen würdet. Das genügt Euch aber nicht. So einfach ist es. 

Ich sende Dir meinen herzlichsten Adventsgruß - hoffe, wir sehen uns vorher noch einmal. Im Moment geht mein Flieger am 30.12. nach Larnaka. Aber vielleicht mache ich Sylvester noch hier.

Dein Jan-Philipp

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