Religion: Mono- oder Dialog? Der Modernismus als Atheismus im Christentum
3. März 2022
Quo vadis, Germania? Von Walter Kardinal Brandmüller
Rom (kath.net/as/wb) „Wohin geshts du, Deutschland?“ – eine intensive historische Reflexion, die deutlich macht: es geht um die Substanz, um das Ja oder Nein zur Kirche und zum Christentum.
Ein „synodaler Weg“? – „Die beängstigende Frage drängt sich auf: Haben denn die all dies mitbeschließenden Bischöfe wirklich nicht wahrgenommen, dass sie sich damit in offenem Widerspruch zu Glaubenswahrheiten begeben haben, deren treue Bewahrung und Verkündigung sie mehrfach mit heiligem Eid geschworen hatten?“.
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Von Walter Kardinal Brandmüller
Nun also hat der deutsche „Synodale Weg“ sein erstes Etappenziel erreicht. In den erarbeiteten Texten werden – wie zu erwarten – Forderungen erhoben, die im klaren Widerspruch zum authentischen katholischen Glauben, zur hierarchisch-sakramentalen Verfassung und zur verbindlichen Sittenlehre der Kirche stehen. All dies wurde mit großer Mehrheit „beschlossen“. Dass von diesen Ja-Stimmen nicht wenige von Bischöfen kamen, lässt den Ernst der Lage erkennen – und wirft grundsätzliche Fragen auf.
Nun hat es gewiss nicht mehr überrascht, unter den dort beschlossenen „Reformen“ die Abschaffung des Zölibats zu finden, ebenso wie die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion etc. All dies schwebt schon seit der – vom Heiligen Stuhl nie bestätigten – Würzburger Synode der Jahre 1971-1975 im Untergrund. Neu ist hingegen, dass praktizierte Homosexualität als sittlich erlaubt anerkannt wird. Dass nunmehr auch kein wirklicher Unterschied zwischen geweihten Bischöfen, Priestern, Diakonen und „nur“ Getauften und Gefirmten anerkannt werden soll, entspricht hingegen ganz der Lehre Martin Luthers. Das II. Vatikanische Konzil jedoch lehrt, dass das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum der Geweihten, sich vom Allgemeinen Priestertum der Getauften nicht bloß dem Grade, sondern dem Wesen nach unterscheidet. So also setzt die Frankfurter Versammlung eine zweitausendjährige Praxis und ein Allgemeines Konzil außer Kraft! Und fordert darüber hinaus auch, Frauen das Weihesakrament zu spenden – was in zweitausend Jahren niemals für möglich gehalten wurde, weil, wie Johannes Paul II. mit unfehlbarem Urteil festgestellt hat. die Kirche keine Vollmacht besitzt, Frauen das Weihesakrament zu spenden.
Dies, also, sind die spektakulären Forderungen der Frankfurter Weggenossen, die in den Kreisen des Funktionärskatholizismus ebenso lebhaften Enthusiasmus wie bei normalen Katholiken Entsetzen hervorgerufen haben.
Die beängstigende Frage drängt sich auf: Haben denn die all dies mitbeschließenden Bischöfe wirklich nicht wahrgenommen, dass sie sich damit in offenem Widerspruch zu Glaubenswahrheiten begeben haben, deren treue Bewahrung und Verkündigung sie mehrfach mit heiligem Eid geschworen hatten? Diese Frage von letztem existenziellem Ernst muss in aller Härte gestellt – und von jedem Bischof beantwortet werden. Darauf hat die Gemeinschaft der Gläubigen ein Recht!
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Um Ernst und Tragweite dieser Frage zu ermessen, gilt es nun, den Wurzeln der mit „Frankfurt“ zu Tage getretenen Krise nachzuspüren.
Bei diesem Beginnen treffen wir rückblickend im ausgehenden 19. Jahrhundert auf das Phänomen des „Modernismus“. Worum es hierbei wirklich geht, ist die ganz grundsätzliche Frage nach dem Wesen der Religion: Was eigentlich ist Religion?
Für eine Reihe um die Wende zum 20. Jahrhundert besonders in Frankreich und England diskutierter Versuche, darauf zu antworten, fand Pius X. den Sammelbegriff „Modernismus“. Dabei handelte es sich um einen heterogenen Komplex von Ideen, Denkansätzen, die mit dem katholischen Glauben in unterschiedlicher Weise unvereinbar waren – und sind.
Dabei mochte man an Versuche zur Sinnerhellung menschlicher Existenz, zur Bewältigung der Erfahrung der Endlichkeit des Menschen denken, an die Urerfahrung der Tiefen der Person, des Un- bzw. Unterbewussten etc. Hinzu kommt ein weiteres konstitutives Element: das der Evolution: In je eigener Weise sind auch Person wie Gesellschaft Subjekt von Evolution. Diese aber ereigne in diesen Fällen sich nach Hegel im Dreischritt von These, Antithese und Synthese. Das aber bedeute, dass heute wahr sein könnte, was gestern falsch war, und umgekehrt, um im nächsten Schritt wieder in Frage gestellt zu werden – und so fort. So also vollziehe sich Entwicklung, auch des religiösen Bewusstseins, auf die immer höhere Ebene der jeweiligen Zeit. Das aber heißt, dass Glaubensinhalte, Glaubens- bzw. Lebenspraxis auf ihrer augenblicklichen Entwicklungsstufe auszuformulieren und in Lebensvollzug auszudrücken sind.
Wie auch immer: in jedem Falle geht es dabei um das Ich, das sich selbst erfährt, versteht, artikuliert. Auf sich selbst fixiert und um sich selbst kreisend – in sich eingeschlossen. Ein einsamer Monolog.
Nun wäre es eine höchst dringliche Aufgabe der Theologie gewesen, sich mit diesen Strömungen und der Reaktion des kirchlichen Lehramtsauf diese – man denke an die Enzyklika Pascendi und das Dekret Lamentabili Papst Pius’ X. – in seriöser, unaufgeregter Weise auseinanderzusetzen.
Eben dies geschah jedoch nicht. Dies war eine wahrhaft tragische Folge jener rapiden politisch-kulturell-wirtschaftlichen Entwicklung der westlichen Welt, die alsbald in der Urkatastrophe des 1. Weltkriegs unterging. An die Stelle der alten Mächte traten kommunistische – faschistische - Diktaturen, deren Zusammenprall im 2. Weltkrieg zum nahezu völligen Zusammenbruch Europas führte.
Folge davon war auch „Inter arma silent musae“ – d.h., wo die Waffen sprechen, schweigen die Musen -, dass die Theologie sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weniger dem Grundsätzlichen als dem augenblicklich-Aktuellen zuwandte. So aber kam es nicht zu einer gründlichen und umfassenden Auseinandersetzung mit dem komplexen Phänomen des Modernismus. Das Problem schwelte jedoch im Untergrund weiter.
Zum Ausbruch kam die Krise schließlich schon im Vorfeld des II. Vatikanischen Konzils, gefolgt von schwerwiegenden Einbrüchen in Glauben und Leben der Kirche. Es sei nur auf die nouvelle théologie verwiesen, auf die Pius XII. mit seiner Enzyklika Humani generisantwortete.Bald darauf versuchte die mittlerweile ergraute Generation der 68er, die wiederum in Frankfurt den Ton angibt.
So etwa der „klinische Befund“ für den Patienten „Deutsche Kirche“: Eine Non Governmental Organization – NGO – mit humanitären, kulturellen Zielen. Ein stattliches Artefakt, beschränkt auf das Hier-und-Jetzt, kreisend um sich selber – überflüssig.
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Der Mensch aber – so ein Vergleich aus der Mathematik – ist weder eine Gerade ohne Anfang und Ende, noch gleicht er der Strecke, die von Beidem begrenzt wird. Er ist vielmehr wie der Strahl, der wohl einen Anfang hat, jedoch kein Ende. Der Mensch erschöpft sich nicht in seinem Erdenleben. Nach jüdisch-christlicher Überzeugung ist er Geschöpf und Ebenbild jenes unendlichen Geistes, dessen Wille alles was ist ins Dasein gerufen hat, Religion aber ist die Art und Weise, wie das Geschöpf Mensch darauf antwortet, seinen Schöpfer erkennt und ihm begegnet. „Religion“ ist nicht Mono- sondern wesentlich Dialog.
Mit solchen Überlegungen bewegen wir uns, gewiss, immer noch auf der Ebene natürlicher Religion, die sich aus der Erkenntnis der Endlichkeit, des Geschaffenseins des Menschen ergibt und ein existentielles Verhältnis der Anbetung und Ergebenheit gegenüber dem Schöpfer begründet. Dabei ist von Christentum noch immer nicht die Rede.
Sind diese Selbstverständlichkeiten – so fragt man sich verwundert, bestürzt, den Frankfurter Weggenossen tatsächlich abhanden gekommen?
Merken die „Synodalen“ nicht, dass sie sich auf einem Holzweg befinden, der sich im Nichts verliert?
Am Ende ergibt sich für das Unternehmen „Synodaler Weg“ eine fatale Bilanz: Es geht in den Frankfurter Papieren längst nicht mehr nur um Irrlehre, Häresie. In diesen Texten wird zwar kaum Falsches über Gott gesagt. Aber: Gottvater, Sohn und Heiliger Geist kommen darin einfach nicht mehr vor. Das aber bedeutet „Atheismus im Christentum“ – so schon der Titel des Buches von Ernst Bloch aus dem Jahre 1968 – auch er, Bloch, ein „Frankfurter“.
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Dem gegenüber halten wir fest: Religion im jüdisch-christlichen Verständnis ist nicht Ergebnis menschlicher Selbsterfahrung oder existentieller Reflexion, sondern Antwort des Geschöpfes Mensch auf die Selbstmitteilung, Offenbarung des Schöpfers an sein Geschöpf Mensch. Ein Anruf von jenseits des Geschaffenen, der als solcher erkennbar im Laufe der Geschichte an die Menschheit, an das „Auserwählte Volk“ Israel, ergangen ist. Im Rückblick wird sichtbar, wie in der religiösen Überlieferung dieses Volkes aus anfänglichen eher schattenhaften Ahnungen ein immer klareres, erhabeneres Bild des Schöpfers von Mensch und Universum erkannt wurde.
Der judenchristliche Verfasser leitet seinen Hebräerbrief mit den Worten ein: „Vielfältig und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten“; dann aber fährt er fort: : „am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn“.
„Der Sohn“ aber ist der historische Jesus von Nazareth, dessen letzte Lebensjahre, dessen Tod am Kreuz sich im hellsten Licht der Öffentlichkeit ereigneten, und umso vieles umfangreicher dokumentiert sind als jene seiner prominentesten Zeitgenossen. Diese Zeugnisse sind die Schriften des Neuen Testaments.
Die Forschung stimmt darin überein, dass diese zum größeren Teil noch zu Lebzeiten von Zeitgenossen der berichteten Ereignisse verfasst und verbreitet worden sind. An ihren historischen Aussagen ist darum kein begründeter Zweifel möglich. Kurzum: Der Glaube an Jesus Christus, den menschgewordenen „Sohn des Lebendigen Gottes“, beruht nicht auf Ideen, Mythen etc., sondern auf nachprüfbaren historischen Tatsachen. Aus der Zahl und der Begeisterung der Augen- und Ohrenzeugen der Ereignisse um Jesus von Nazareth erbaute der Auferstandene Christus auf Petrus, den Felsen, seine Kirche, die der Apostel Paulus bald als Leib Christi, als lebendigen, vom Geist Gottes beseelten Organismus darstellen sollte: Die neue Weise der Gegenwart des Auferstandenen in dieser Welt. Und: von Tod, Gericht und ewigem Leben ist mit keinem Wort die Rede.
Und nun die erstaunliche und bestürzende Feststellung: all dies spielt in „Frankfurt“ keine Rolle.
Was aber versteht man dort unter Religion, Christentum, katholischer Kirche?
In der Tat: Atheismus im Christentum“, „Kirche“ – ist sie dann in der Tat nicht nur eine sozio-kulturelle – und unter so vielen anderen überflüssige NGO?
„Kehr um, Israel, zum Herrn, deinem Gott“ (Hosea 14,2).