Saturday, July 01, 2006

Deutsche Liebe - Gedanken zu WM und "neuem Patriotismus"

Nur, weil wir nicht mehr so vulgär und nationalistisch liebten, sollen wir nicht mehr patriotisch gewesen sein? Denk noch mal nach. Ich sage, in Deutschland wurde die Heimat auch nach 1945 genauso geliebt. Und doch waren wir traurig. Aber waren wir nicht vielmehr einfach deswegen traurig, weil uns mit „der Nation“ der Sinn des Lebens abhanden gekommen war und wir uns im Materiellen befriedigten, das aber keine dauerhafte Befriedigung geben kann. Waren wir nicht traurig über das eigene Versagen? Die Nation ist letztlich auch nur ein Ersatzsinn. Sie kann im tiefsten nicht Sinn geben. Sie ist ja selber kein Wesen, das geben könnte. Sie ist nur ein gemeinsames Projekt, in dem Menschen andere Menschen erleben können. Sie kann dem Sinn des Lebens, den man für sich erkennt, ein Ventil, eine gemeinsame Baustelle sein. Sie kann aber selber nichts geben. Und sogar nur in der Menge oder sogar Masse (z.B. im Kriegseinsatz) kann sie irgendeine eine Wirkung auf das Individuum erzielen. Ansonsten ist sie nur als Ziel der Individuen nützlich. Lenkt deswegen Eure Aufmerksamkeit nicht so auf das, was die Nation betrifft. Sondern richtet sie auf Euch, auf die Menschen. Die Traurigkeit der Menschen, Deine eigene Traurigkeit zu überwinden, das wird den Effekt erzielen, den sich jetzt so viele von einen „neuen Patriotismus“ erhoffen.

Es ist doch gar nicht alles verloren in Deutschland. Wir müssen ganz ruhig unsere Schwächen bekämpfen und aber auch unsere Stärken wieder wahrnehmen. Wir müssen wieder säen und arbeiten, wenn wir auch in Zukunft ernten und verteilen wollen. Die WM ist vielleicht ein Anfang, der uns hilft, zur gesunden Mitte in der Selbstwahrnehmung zurückzukehren. Euphorie als Lebensgefühl eignet sich hier – so wie jede andere Art der Wirklichkeitsverdrängung – nicht, kann aber vielleicht als temporäres Anti-Serum gegen das Gift des Skeptizismus und Selbstzweifels wirken. Die wirkliche Arbeit aber, da mach Dir keine Illusionen, beginnt anschließend. Und die Arbeit ist ungefähr so spannend, wie nach dem Fest aufzuräumen. Die, die das machen, das werden unsere wirklichen Helden sein. Worauf warten wir?

Die Essenz der Liebe ist immer in Diskretion und Intimität gekleidet. Vulgarität ist vielleicht manchmal Verliebtsein, aber nie Liebe. Denn nur primitive, vulgäre Gefühle schreien... Ein zärtliches Gefühl, insbesondere Liebe, dient, streichelt, küsst, lächelt, hilft, stützt, pflegt, hofft, vergibt, sagt kein schlechtes Wort... Liebe braucht keine Drogen und keinen besonderen Anlass. Mal sehen, ob und wie weit die Deutschen wirklich lieben gelernt haben... Wahrer Patriotismus: Die kleinen Dinge tun und das Alltägliche lieben. Wie in jeder Liebe.

Wir Deutschen müssen froh sein und Gott danken, dass es uns überhaupt noch gibt. Wir haben heute doch gar keine Vorstellung, was damals zwischen 33 und 49 hier los war... Und wären auch nie wieder auferstanden ohne Gott und die Arbeit vieler Menschen, darunter sehr viele Ausländer, denen wir auch dankbar sein müssen.

Wir sind das Land der geschichtlichen Tsunamis…

Jedes große Fest geht einmal zu Ende... Seid da sicher. Doch wir müssen den Alltag zum Fest machen.

Die Deutschen haben im Moment Sex mit der Nation… Werden sie sich am nächsten Morgen noch erkennen und lieben…?

Soll DAS jetzt wirklich Liebe sein…? Irgendwie fällt es mir schwer, das so zu nennen. Was wird bleiben außer Heiserkeit und Kater?

Da soll mir jemand sagen, beim deutschen Jubel ließe sich nur Liebe, Freude und Patriotismus spüren. Man merkt doch, dass da tief drin viele Zweifel, Komplexe, Ängste mitspielen.

„So seh’n Sieger aus!,“ singen sie… ohne irgendetwas geschafft zu haben? So seh’n Sieger aus? Die Mannschaft, ja klar. Die sind bisher Sieger. Aber alle die, die zuschauen und grölen… Sehen so nicht unzufriedene Leute mit Komplexen aus? In normalen Zeiten schon…

Verliebtsein? Gut. Aber lieber Liebe. Euphorie? Okay. Aber lieber ein tiefes Verständnis und Annehmen, ein Tragen und Schützen – auch im Zweifel, im Fehler, im Mangel, im Ende. Das Erste kann Anfang für das Andere sein. Lasst es uns nutzen. Tiefe Liebe ist aber etwas anderes als Euphorie. Obwohl sie sich aus dieser entwickelt. So wie Schmetterling und Raupe sogar das Selbe aber doch nicht einmal das Gleiche sind.

Was wir in diesem Land brauchen, ist ruhige, besonnene Zuversicht. Keine Schreierei und auch keine Euphorie letztlich. Wenn es vorwärts gehen soll, müssen wir jeden Tag wie Weltmeister leben. So sähen dann wirklich „Weltmeister aus“.

Unsere heutigen Helden (z.B. Die Sportstars) verkörpern leider nicht mehr viele verschiedene Tugenden.

Einheit und Gerechtigkeit durch Freiheit. Das verstehen die meisten von den Wichtigtuern nicht. Denn dann könnten sie sich nicht mehr mit der Lösung (oder sogar Nicht-Lösung) von Problemen, die sie selber schaffen, aufspielen… Politik: Ein feines Perpetuum Mobile. Das besondere am Perpetuum Mobile ausserdem: Man kommt trotz aller Bewegung nie irgendwo an…

Wir müssen einzeln alle das Kleine lieben und tun. Als Gemeinschaft dürfen wir aber auch vor dem Großen, selbst dem Monumentalen nicht zurückschrecken. Mit dem Kleinen anfangen und auf’s Grosse hinarbeiten.

Jeden Anfang, auch den kleinsten, rechnet Gott Dir an. Vertraue darauf.

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